Rethinking the South
Weltweit stehen Menschen vor drängenden Fragen zur Gestaltung ihres Zusammenlebens. Brasilien ist hierbei längst zu einem symbolischen Schauplatz für globale Herausforderungen geworden.
Stipendiat*innen
Partner
Ab 2023 initiiert die KfW Stiftung in Kooperation mit dem Goethe-Institut das dreijährige Programm Rethinking the South – Repensando Sul, das unter jährlich wechselnden Themen jeweils vier Stipendien in verschiedenen Disziplinen mit einer Regelzeit von zwei Monaten vergibt. Dabei steht jährlich ein zentrales Thema im Fokus. 2023 soll unter der Fragestellung nach „Postkolonialen Gegenwarten“ die afro-brasilianische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft diskutiert werden. Die folgenden Jahre widmen sich Stadträumen und Stadtentwicklung (2024) und schließlich der Klimakrise (2025).
Recognised Limits - Themenschwerpunkt 2025
Die Auswirkungen unseres Lebensstils und der industriellen Ausbeutung der Natur auf das Weltklima sind nicht mehr zu leugnen. Vor allem die Länder des Globalen Südens sind von diesen Veränderungen am stärksten betroffen, auch wenn sie am wenigsten dafür verantwortlich sind. In Brasilien haben extreme Dürreperioden einerseits und sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen andererseits massive Auswirkungen auf die für das Weltklima wichtigen Ökosysteme. Konkret wird der steigende Meeresspiegel in Zukunft auch für eine Stadt wie Salvador-Bahia Folgen haben: Berechnungen zufolge könnten Teile der Unterstadt in den kommenden Jahren überflutet werden. Welche Auswirkungen werden solche Szenarien auf die Bevölkerung haben? Welche Ansätze und Theorien gibt es, um einer weiteren Verschlechterung entgegenzuwirken? Wie kann man verhindern, dass die am meisten gefährdeten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen am meisten unter den negativen Auswirkungen des Klimawandels leiden? Und was passiert, wenn Flora und Fauna, die oft eine wichtige Rolle in religiösen und kulturellen Traditionen spielen, ausgelöscht werden? Wie können Kunst und Kultur in Verbindung mit der Wissenschaft darauf reagieren?
Ausgehend von Salvador de Bahia könnten die gestellten Fragen exemplarisch für alle Städte sein und erfordern eine globale Betrachtung und Behandlung. Denker*innen, Künstler*innen und Kulturschaffende aus allen Disziplinen sind eingeladen, das Thema "Recognised Limits" in ihren aktuellen Projekten künstlerisch und wissenschaftlich zu reflektieren.
Die Zukunftsfähige Stadt — Themenschwerpunkt 2024
Über 50 Prozent der Weltbevölkerung leben in Städten. Und dieses Tendenz ist steigend. Heute stehen wir vor der Frage, wie wir unsere Städte weiterentwickeln wollen. Wie sieht eine zukunftsfähige Stadt aus und was zeichnet sie aus? Städte haben sich aufgrund einer Vielzahl von Faktoren entwickelt - Industrialisierung, Kolonialismus, informelle Siedlungen, politische Maßnahmen, eine veränderte Altersdemografie, Zugang zu Arbeit und Bildung und vieles mehr. Was bedeutet es, wenn diese Faktoren im Widerspruch zueinander stehen? Kann eine historische Entwicklung der Stadt Aufschluss über ihr Potenzial für die Zukunft geben? Salvador de Bahia als Stadt bildet die bebaute und verdichtete Kulisse für die afro-brasilianische Historie und postkoloniale Gegenwart gleichermaßen. Im Stadtraum spiegeln sich die Choreografie des alltäglichen Lebens neben den gesetzlichen Herrschaftsstrukturen, Eigentum und Enteignung. Wer hat die Stadt gebaut und für wen? Wer bewohnt sie heute? Wie beeinflussen indigene Gesellschaftskonzepte das städtische Zusammenleben und wie kann dieses perspektivisch gestaltet werden? Ausgehend von Salvador de Bahia, sind die Fragen exemplarisch für alle Städte und benötigen einer globalen Verständnis und Bearbeitung. Denker*innen, Kunst- und Kulturschaffende aller Disziplinen sind eingeladen das Thema Stadt in ihren aktuellen Projekten weiterzudenken und künstlerisch aufzugreifen.
Postkoloniale Gegenwarten – Themenschwerpunkt 2023
Die Einwohner*innen des Bundesstaats Bahia, dessen Hauptstadt Salvador ist, besteht überwiegend aus einer afro-brasilianischen Bevölkerung. Als erste Hauptstadt Brasiliens war Salvador über Jahrhunderte der wichtigste Einfuhrhafen aus Afrika verschleppter und versklavter Menschen. Dadurch entstand im Nordosten eine einzigartige Kultur, die weiterhin stark von ihren afrikanischen Wurzeln geprägt ist. Viele Afrobrasilianer*innen kritisieren institutionalisierten Rassismus, der ihnen weiterhin den sozialen oder akademischen Aufstieg verwehrt. Durch die Zerstörung wichtiger Archive nach der Sklav*innenbefreiung 1888 ist es für viele Afrobrasilianer*innen unmöglich, mehr über ihre Herkunftsregionen zu recherchieren. Die Frage nach den postkolonialen Gegenwarten bezieht auch die kulturelle Verdrängung der indigenen Völker Brasiliens ein. Welche Ausdrucksformen finden Kulturschaffende und Denker*innen zur Aufarbeitung der Historie? Welchen Raum nehmen Trauer und Konzepte von Heilung im postkolonialen Prozess der Identitätssuche ein? Wie können postkoloniale Gegenwarten und die Zukunft gestaltet werden?
Stipendiat*innen
International renommierte Expert*innen verschiedener künstlerischer Disziplinen, die in verschiedenen Regionen in Afrika, Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten tätig sind, nominieren herausragende Kulturschaffende. Direktbewerbungen sind nicht möglich. Eine Fachjury entscheidet über die eingereichten Bewerbungen.
Jury 2023: Renate Heilmeier (Goethe Institut São Paulo), Dr. Helio Menezes (Kurator São Paulo Biennale 2022), Yvette Mutumba (Contemporary And, Stedelijk Museum, Kuratorin), Maria Berrios (Kuratorin), Daniela Leykam (KfW Stiftung)
Die bildende Künstlerin Lisa C Soto lebt zwischen Puerto Rico und Ghana. In ihrer Arbeit verwendet sie Bilder, die aus der tatsächlichen und imaginären Kartografie stammen, um lokale und globale Interaktionen, tropische Flora und kosmische Verbindungen zu thematisieren. Ihre multimedialen großformatigen Installationen bestehen unter anderem aus erdgebundenen und industriellen Materialien sowie Pflanzen, Instrumenten und Spielen. Sotos Werke üben Kritik an Hierarchien und Binaritäten, reflektieren rhizomatische Muster in der Natur und stellen westliche "rationale" Wissensansätze in Frage.
Ausgewählte Ausstellungen: Gruppenausstellung Negro/A/X in der Galerie Corredor Afro, 2020, Loiza, Puerto Rico; die Getty Foundation Initiative PST LA/LA, Relational Undercurrents: Contemporary Art of the Caribbean Archipelago, Wanderausstellung von 2017 - 2019; "Convergence", eine Zusammenarbeit mit Adjaye Associates im Jahr 2018 zur Schaffung ihrer ersten permanenten Installation im öffentlichen Raum in Newark, NJ. Sie hielt Vorträge am MIT, der Ford Foundation, KNUST, der Claremont Graduate University und der Rutgers University. Soto ist derzeit MFA-Kandidatin an der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST).
„Ich freue mich darauf, während meines Aufenthalts in Vila Sul mit Bewegung und Flora in natürlichen Umgebungen wie den Wäldern und Flussbetten in Bahia zu experimentieren. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, ein neues Medium zu erkunden, um den symbiotischen und energetischen Austausch zwischen Körpern und Pflanzen im Kontext der Geschichte Bahias zu diskutieren. Diese Geschichten werden zwischen Bahia, meinen karibischen Kulturen und meiner derzeitigen Heimat Ghana in Beziehung gesetzt.“
Caroline Gueye ist im Senegal in einem künstlerischen Umfeld unter dem Einfluss ihres Großvaters Paul Ahyi, dem Designer der togolesischen Flagge geboren und aufgewachsen. Ihre Hochschulausbildung hat sie in Frankreich, den Vereinigten Staaten und China absolviert. Sie hat Abschlüsse in Astrophysik, Atmosphärenphysik und Chinesisch und arbeitet derzeit an einer Doktorarbeit über Kunst und Wissenschaft an der Universität in Lyon.
2016 weckte die Arbeit im Atelier des chinesischen Künstlers Qin Chong (亲冲) ihre Vorliebe für Volumen. Seitdem hat sie insgesamt an mehr als dreißig Gruppenausstellungen, Einzelausstellungen und Residenzen auf vier Kontinenten teilgenommen. Auf der Biennale von Dakar 2022 erhielt sie den Preis als beste Künstlerin Westafrikas (ECOWAS-Preis).
Odun Orimolade entwickelt ihre Arbeit aus einer experimentellen und vielschichtigen Perspektive transdisziplinärer Ansätze, Forschungen und Zusammenarbeit. Dabei bewahrt sie eine offene Struktur für ihre pädagogische, künstlerische und kuratorische Praxis, indem sie eine Mischung von Ideologien und Weltanschauungen aus verschiedenen Forschungsbereichen kultiviert. Dies führt zu Erkundungen menschlicher Verhaltensweisen, Orientierungen und Interaktionen als Mechanismen zur Navigation. Orimolades Forschungsinteressen drehen sich um Ansätze zur Praxis, kreativer Auseinandersetzung, Navigation und Einflüsse, die die kreative Produktion für positive externe Auswirkungen herausfordern und informieren. Sie erforscht Möglichkeiten für die Entwicklung professioneller Praxis, Lernmedien und Pädagogiken, die frische Wege für flexible kreative Erkundungen bieten. Ihre Forschung hinterfragt auch Themen und Initiativen, die ihre Arbeit fördern oder einschränken. Sie interessiert sich für partizipative Forschungspraktiken als künstlerische Intervention in eine Vielzahl von unterschiedlichen Räumen. Orimolade ist leidenschaftlich daran interessiert Mentorship-Möglichkeiten zu schaffen und trägt in verschiedenen Bereichen kreativer Aktivitäten im Rahmen von Gemeinschaftsprojekten bei.
Der selbst bezeichnete Quasi-Künstler ist in den Außenbezirken von São Paulo, im Stadtteil Parada de Taipas geboren und aufgewachsen. Enkel von Rosa und Esmeraldo, ist Diego Crux von der Farbe, die Erinnerungen hervorruft. Er erforscht intime und persönliche Ausrufe, kollektive Erfahrungen, Repräsentation, Design, visuelle Proben und Worte.
Crux hat an Ausstellungen in São Paulo, Curitiba, Accra (GH), Arles (FR) und Kopenhagen (DK) teilgenommen sowie an Residenzen wie Pivô (2020), welche von Thiago de Paula Souza kuratiert wurde sowie am MAM Rio (2021), koordiniert von Camilla Rocha Campos.
Huda Tayob ist eine südafrikanische Architektin, Theoretikerin und Architekturhistorikerin. Ihre Forschung konzentriert sich auf Architekturen von Minderheiten, Migranten und Subalternen. Sie ist Mitkuratorin des frei zugänglichen Lehrplans Racespacearchitecture.org und Hauptkuratorin der digitalen Plattform Archive of Forgetfulness.
Sie stellte auf der 18. Internationalen Architekturausstellung in Venedig (2023) mit einem Projekt namens Index of Edges aus, das wässrige Archive, Methoden und Geschichten von Migrantenarchitekturen entlang der ostafrikanischen Küstenkanten von Kapstadt, Südafrika, bis nach Port Said, Ägypten, verfolgt. Derzeit arbeitet sie an einem Manuskriptprojekt mit dem Titel 'Opaque Architectures: Black Markets as Infrastructures of Care' - ein Projekt, das transnationale Orte von afrikanischen Migranten als Möglichkeitsräume herausarbeitet.
Deji Akinpelu zeichnet sich als engagierter Handwerker auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung aus, wobei er die Kunst als seine Leinwand nutzt, um lebendige Geschichten in ganz Afrika zu porträtieren. Seine Leidenschaft für herausfordernde afrikanische Erzählungen zeigt sich durch Dokumentarfilme und Fotografie. Als autodidaktischer Fotograf, der zum Filmemacher wurde, verfeinerte er seine Fähigkeiten am SAE Institute in Dubai. Als Gründer der Initiative Rethinking Cities (RCI) hat er eine dynamische, kollaborative Plattform geschaffen, die Fachleute aus den Bereichen Kunst, Medien und Stadtplanung zusammenbringt, um städtische Herausforderungen in Afrika anzugehen. Der Hub "researchinlagos" und der Podcast "Yanme" verstärken die Stimmen der Gemeinschaften. Seine Arbeit als Fotograf und Dokumentarfilmer wird international anerkannt, und er hatte das Privileg, Dokumentarfilme für angesehene internationale Entwicklungsagenturen zu produzieren und zu inszenieren. Organisationen wie die Heinrich Boll Stiftung (HBS), die Agence Française de Développement (AFD) und Amnesty International vertrauen darauf, dass Akinpelu Licht auf kritische Fragen wirft und Gespräche initiiert, die Grenzen und Kulturen überwinden. Die Kraft der visuellen Erzählung zur Förderung des sozialen Wandels. Akinpelus leidenschaftliche Suche nach städtischer Innovation und Inklusivität positioniert ihn als einen Vorreiter in der visuellen Erzählung und sozialen Advocacy.
Patti Anahory ist eine Architektin, die in den Bereichen Bauwesen, Kunst, Bildung und kuratorische Praktiken tätig ist. Ihre Arbeit zielt darauf ab, etablierte Vorstellungen von Ort und Zugehörigkeit herauszufordern und in die Schnittstellen von Identität, Erinnerung, Rasse und Geschlecht einzutauchen. Auf einem Schiff, unterwegs nach São Tomé und Príncipe, geboren, setzt sich Anahory für dekoloniale Ansätze ein und zentriert afrikanische Welten aus einer insularen Perspektive. Sie betrachtet diese als flüchtige Grenze und radikalen Rand, wobei sie sich auf die komplexen Beziehungen zwischen Erzählungen und Raumkonzepten konzentriert und Verflechtungen von Menschen, Macht sowie der gebauten und natürlichen Umgebung betont. Anahory ist Mitbegründerin von XU: und Storia na Lugar, Plattformen für Geschichtenerzählung und Gegen-Erzählpraktiken, sowie von her(e), otherwise, einer experimentellen Plattform für afrikanische und diasporische weibliche Raumdenker. Sie ist im Beirat der African Futures Institute, einem unabhängigen postgradualen Zentrum für architektonische Forschung in Ghana. Als Gastprofessorin an der Columbia University (2022-23) und Gründungsdirektorin des CIDLOT, einem multidisziplinären Forschungszentrum an der Universität von Kap Verde, war sie tätig.
Partner
Das Goethe-Institut Salvador-Bahia bietet mit der VILA SUL einen Residenzort für Kulturschaffende verschiedener Disziplinen für inhaltlichen Austausch und überregionale Vernetzung zum übergeordneten Thema ‚Süden‘. Mit einer Regelzeit von zwei Monaten werden bis zu 16 Stipendiat*innen jährlich eingeladen, ihre Forschung und Ideen zum ‚Süden‘ vor Ort zu bearbeiten. Dabei werden sie bereichert von der kulturellen Szene, von der Stadt und von der Natur. Aufgrund seiner historischen und kulturellen Vielfalt, ist Salvador de Bahia ein idealer Begegnungsort zwischen der lokalen Kulturszene und internationalen Resident*innen. Ziele der VILA SUL sind die langfristige und nachhaltige Vernetzung zwischen den kulturellen Szenen im In- und Ausland und damit einhergehend die Stärkung des interkulturellen Dialogs, die Initiierung von Perspektivwechseln, das Überschreiten von Grenzen sowie das Leben in einem anderen kulturellen Kontext.
Als das global tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland setzt sich das Goethe-Institut für die Verständigung zwischen Deutschland, Europa und der Welt ein.
Programmleitung
Daniela Leykam
Bildnachweise
01. Bild: Goethe Institut, Fotografin: Maria Fiedler
02. Bild: Goethe Institut, Fotografin: Lara Carvalho
03. Bild: Goethe Institut, Fotograf: André Fofano
04. Bild: Goethe Institut, Performance "Elewe: Of the leaves" von Odun Orimolade, Fotograf: Leonel Henckes
05. Bild: Goethe Institut
06. Bild: Goethe Institut, Fotograf: Paulo Overbeck